DIE MODERNE SPIRITUELLE WISSENSCHAFT
Welt und Mensch als Schöpfung der Universalen Intelligenz und Weisheit


Im Paradiese des Westens
Als der Erhabene in der Halle des Hafners zu Rajagaha diese Worte sprach, erwachte der Pilger Kamanita im Paradiese des Westens.
In einen roten Mantel gehüllt, der zart und glänzend wie ein Blumenblatt in reichem Faltenwurf um ihn herabfloß, fand er sich mit untergeschlagenen Beinen auf einer mächtigen, gleichfarbigen Lotusrose sitzend, die mitten auf einem großen Teiche schwamm. Auf der weiten Wasserfläche waren überall solche Lotusblumen zu sehen, rote, blaue und weiße, einige noch als Knospen, andere, obwohl ziemlich entwickelt, doch immer noch geschlossen, aber unzählige offen wie die seine; und fast auf einer jeden thronte eine menschliche Gestalt, deren faltiges Gewand aus den Blumenblättern emporzuwachsen schien.
Auf den schrägen Ufern des Teiches, im grünsten Gras, lachte ein Blumenflor, als ob alle Edelsteine der Erde hier in Blumengestalt wiedergeboren wären, ihren Glanz und ihr durchleuchtetes Farbenspiel beibehaltend, aber den harten Panzer, den sie in ihrem Erdenleben getragen, gegen die weiche, schmiegsame, lebendige Pflanzenhülle eintauschend. So war auch der Duft, den sie aushauchten, mächtiger als die herrlichste Essenz, die je in ein kristallenes Fläschchen eingeschlossen wurde, und hatte doch die ganze herzhafte Frische des natürlichen Blumenduftes.
Von diesem fesselnden Ufersaum schweifte nun der entzückte Blick weiter zwischen hohen und breitwipfeligen, smaragdlaubigen und juwelenblühenden Bäumen, die bald einzeln sich erhoben, bald in Gruppen zusammen standen, bald tiefe Haine bildeten, hinüber nach den anmutigsten Felsenhügeln, die bald nackt ihre kristallenen, marmornen und alabasternen Formen zeigten, bald sie mit dichtem Gebüsch bedeckten oder mit duftigem Blütenflor verhüllten. An einer Stelle aber wichen Haine und Felsen gänzlich zur Seite, um einem schönen Fluß Raum zu geben, der sich still, wie ein Strom von Sternenglanz, in den Teich ergoß.
Über die ganze Gegend wölbte sich ein Himmel, dessen Ultramarinblau nach unten zu eher noch tiefer wurde, und unter dieser Kuppel schwebten weiße, geballte Wölkchen, auf welchen liebliche Genien gelagert waren, deren Instrumente den ganzen Raum mit den Zauberklängen wonniger Weisen erfüllten.
Aber an diesem Himmel war keine Sonne zu sehen, noch bedurfte es einer solchen. Denn von den Wölkchen und den Genien, von Felsen und Blumen, vom Wasser und von den Lotusrosen, von den Gewändern der Seligen, noch mehr aber von ihren Gesichtern strahlte ein wundersames Licht aus. Und wie dies Licht von strahlender Helligkeit war, ohne doch im mindesten zu blenden, so wurde die weiche, duftgesättigte Wärme durch den ständigen Hauch des Wassers erfrischt, und schon diese Luft einzuatmen war eine Lust, der nichts auf Erden gleichkommt.
Als Kamanita den ersten Anblick dieser Herrlichkeiten so weit verwunden hatte, daß sie ihn nicht mehr überwältigten, sondern anfingen, sich ihm als seine natürliche Umgebung unterzuordnen, richtete er seine Aufmerksamkeit auf jene anderen Wesen, die, wie er selber, ringsum auf den schwimmenden Lotusthronen saßen. Er bemerkte bald, daß die rot gekleideten männlichen, die weiß gekleideten weiblichen Geschlechts waren, während von den in blaue Mäntel gehüllten Gestalten, ihm schien, einige diesem, einige jenem Geschlechte angehörten. Alle miteinander aber standen sie in vollster Jugendblüte, und alle schienen von freundlichster Gesinnung erfüllt zu sein.
Ein Nachbar in blauem Mantel flößte ihm besonderes Vertrauen ein, und die Lust, ein Gespräch mit ihm anzuknüpfen, regte sich in ihm.
„Ob es wohl angeht, von selber und unaufgefordert diesen Ehrwürdigen zu fragen?“ dachte er. „Gar zu gern möchte ich doch wissen, wo ich bin.“
Zu seiner größten Verwunderung erfolgte die Antwort sofort, lautlos und ohne daß der Blaue die Lippen auch nur leise bewegt hätte:
„Du bist in Sukhavati, dem Orte der Seligkeit.“
Unwillkürlich fragte Kamanita in Gedanken weiter:
„Du warst hier, Ehrwürdigster, als ich die Augen aufschlug, denn mein Blick fiel sofort auf dich. Bist du vielleicht gleichzeitig mit mir erwacht, oder warst du schon lange hier?“
„Seit undenklichen Zeiten bin ich hier“ antwortete der Blaue, „und ich würde glauben, daß ich von Ewigkeit her hier wäre, wenn ich nicht so oft gesehen hätte, wie eine Lotusblume sich öffnete und ein neues Wesen zum Vorschein kam – und wenn nicht der Duft des Korallenbaumes wäre.“
„Was ist’s denn mit diesem Duft?“
„Das wirst du bald selbst entdecken. Der Korallenbaum ist das größte Wunder dieses Paradieses.“
Die Musik der himmlischen Genien, die wie von selber dieses lautlose Gespräch zu begleiten schien, mit ihren Weisen und Klängen sich jedem Satz desselben anschmiegend, gleichsam um seinen Sinn zu vertiefen und das klar zu machen, was die Worte nicht fassen konnten, wob bei diesen Worten ein seltsam mystisches Tongebilde, und es schien dem lauschenden Kamanita, als ob in seinem Geiste unendliche Tiefen sich öffneten, in deren Schatten formlose Erinnerungen sich regten, ohne erwachen zu können.
„Das größte Wunder!“ sagte er nach einer Pause. „Ich meinte, von allem Wunderbaren hier sei das Wunderbarste jener herrliche Strom, der sich in unsern Teich ergießt.“
„Die himmlische Ganga“, nickte der Blaue.
„Die himmlische Ganga!“ – wiederholte Kamanita träumerisch, und wiederum überkam ihn, nur in verstärktem Maße, jenes Gefühl von etwas, das er kennen müsse und doch nicht kennen konnte, während die geheimnisvollen Töne in den tiefsten Abgründen seines eigenen Selbstes die Quellen jenes Stromes zu suchen schienen.
    
Selige Reigen
Mit Verwunderung bemerkte Kamanita jetzt, wie eine nicht weit von ihm auf ihrer Lotusrose thronende weiße Gestalt plötzlich in die Höhe wuchs. Die aufgehäufte Masse der eckigen Mantelfalten wickelte sich auseinander, bis das Gewand gradlinig von den Schultern bis zum goldigen Saume hinabfloß. Und dieser berührte schon nicht mehr die Blumenblätter – die Gestalt schwebte frei über den Teich hin, über das Ufer hinauf, und verschwand zwischen den Bäumen und hinter dem Gebüsch.
„Wie herrlich muß das sein!“ – dachte Kamanita. „Aber das ist wohl eine sehr schwierige Kunst, obschon es aussieht, als ob es gar nichts wäre. Ob ich das wohl jemals lernen kann?“
„Du kannst schon, wenn du nur willst“, antwortete der Blaue, an den die letzte Frage gerichtet war.
Sofort hatte Kamanita die Empfindung, als ob etwas seinen Körper in die Höhe höbe. Er schwebte schon quer über den Teich nach dem Ufer zu, und bald war er mitten im Grünen. Wohin er seinen Blick wünschend richtete, dorthin ging sein Flug, schnell oder langsam, je nach Verlangen. Er sah nun andere Lotusteiche, ebenso herrlich wie der, den er eben verlassen hatte, durchstreifte liebliche Haine, wo bunte Vögel von Zweig zu Zweig hüpften und ihr melodisches Zwitschern mit dem leisen Rauschen der Wipfel mischten, strich über blumenreiche Auen hin, wo niedliche Antilopen ihr Spiel trieben, ohne sich im geringsten vor ihm zu fürchten, und ließ sich endlich auf dem sanften Abhang eines Hügels nieder. Zwischen Baumstämmen und blühendem Gebüsch sah er die Ecke eines Teiches, wo das Wasser rings um die großen Lotusblüten glitzerte, deren Blumenthrone hier und dort eine selige Gestalt trugen, während mehrere selbst von den ganz entfalteten leer waren.
Es war nämlich offenbar gerade ein Augenblick des allgemeinen Schwärmens. Wie an einem warmen Sommerabend die Leuchtkäfer unter den Bäumen und um das Gebüsch hin und her kreisen, ein stilles, leuchtendes Treiben, also schwebten hier die seligen Gestalten, einzeln und paarweise, in ganzen Gruppen oder Reihen durch die Haine und um die Felsen. Dabei sah man es ihren Mienen und Blicken an, daß sie sich lebhaft miteinander unterhielten und man ahnte die unsichtbaren Fäden des Gespräches, die sich zwischen den lautlos Dahinziehenden hinüber und herüber spannten.
In süßer traumhafter Befangenheit genoß Kamanita dies reizende Schauspiel. Nach und nach entstand in ihm ein Verlangen, sich mit diesen Fröhlichen zu unterhalten.
Sofort war er von einer ganzen Gesellschaft umringt, die ihn freundlich begrüßte als den Neuangekommenen, den soeben Erwachten.
Kamanita wunderte sich sehr und fragte, ob denn das Gerücht von seinem Entstehen sich schon überall in Sukhavati verbreitet hätte.
„O, wenn ein Lotus sich öffnet, regen sich alle Lotusblumen in den Paradiesteichen, und jedes Wesen fühlt, wenn hier irgendwo ein neues Wesen zur Seligkeit erwacht.“
„Aber wie könnt ihr wissen, daß gerade ich der Neue bin?“
Die ihn Umschwebenden lächelten lieblich.
„Du bist noch nicht so ganz erwacht.“
„Du blickst uns an, als ob du Traumgestalten sähest und dich davor fürchtetest, daß sie plötzlich verschwinden könnten und daß eine rauhe Wirklichkeit dich wieder umgeben möchte.“
Kamanita schüttelte den Kopf.
„Ich verstehe euch nicht so recht. Was sind Traumgestalten?“
„Ihr vergeßt“, sagte eine Weißgekleidete, „daß er gewiß noch nicht am Korallenbaume war.“
„Nein, dort war ich noch nicht. Aber ich habe doch schon von ihm gehört. Mein Nachbar im Teiche sprach mir davon; der Baum soll solch ein Wunder sein. Was ist’s denn mit ihm?“
Aber sie lächelten alle geheimnisvoll, sich gegenseitig anblickend und den Kopf schüttelnd.
„Ich möchte gern sofort hin. Will mir niemand den Weg zeigen?“
„Den Weg findest du schon selber, wenn die Zeit gekommen ist.“
Kamanita strich sich mit der Hand über die Stirn.
„Noch ein Wunderding war da, von dem er sprach. … Ja! Die himmlische Ganga … Von ihr wird unser Teich gespeist. Ist das mit dem eurigen auch so?“
Die Weißgekleidete zeigte nach dem klaren Flüßchen, das sich um den Fuß des Hügels wand und in gemächlichen Krümmungen sich dem Teiche zuschlängelte.
„Da ist unser Zufluß. Unzählige solcher Adern durchziehen diese Gefilde, und auch das, was du gesehen hast, ist nur eine solche, wenn auch eine größere. Aber die himmlische Ganga selber umschließt das ganze Sukhavati.“
„Hast du auch sie selber gesehen?“
Die Weiße schüttelte den Kopf.
„So kann man denn nicht dorthin kommen?“
„Man kann schon“, antworteten sie all. „Aber keiner von uns war dort. Warum sollten wir auch? Nirgends kann es schöner sein als hier. Einige andere freilich waren da – aber sie sind nie wieder hingeflogen.“
„Warum denn nicht?“
Die Weiße zeigte nach dem Teiche:
„Siehst du den Roten dort, fast am anderen Ufer? – Er war dort, es ist lange, lange her. Wollen wir ihn fragen, ob er später noch einmal nach dem Gestade der Ganga geflogen ist?“
„Nimmermehr“, klang sofort die Antwort des Roten.
„Und warum denn nicht?“
„Fliege selber hin und hole dir Antwort.“
„Wollen wir? Mit dir zusammen darf ich schon.“
„Ich möchte wohl hin – aber jetzt nicht.“
Aus einem nahen Hain schwebte ein Zug seliger Gestalten hervor, schlang sich zu einem Reigen um das Wiesengebüsch, und indem die Reihe sich ausdehnte, ergriff die äußerste Gestalt – eine hellblaue – die Hand der Weißen. Diese reichte einladend eine Hand Kamanita hin.
Er dankte ihr lächelnd, schüttelte aber leise den Kopf: -
„Noch möchte ich lieber zusehen.“
„Ja, ruhe nur und erwache. Auf Wiedersehen!“
Und von der Hellblauen sanft fortgezogen, schwebte sie von dannen, im luftigen Ringeltanz.
Und auch die anderen zogen mit freundlichem, aufmunterndem Gruß davon, um ihm Ruhe zur Sammlung zu geben.

Der Korallenbaum
Kamanita folgte ihnen lange mit dem Blick und wunderte sich. Und dann wunderte er sich über sein Wundern. „Wie kommt es denn, daß Alles mich hier so seltsam anmutet? Wenn ich hierher gehöre, warum scheint mir dann nicht alles selbstverständlich? – Aber jede neue Erscheinung hier ist mir rätselhaft und setzt mich in Erstaunen. Zum Beispiel dieser Duft, der jetzt plötzlich an mir vorüberweht. Wie ist er doch so ganz verschieden von allem anderen Blumendufte hier – viel voller und mächtiger, anziehend und beunruhigend zugleich. Wo mag er wohl herkommen?
… Aber wo mag ich wohl selber herkommen? Es scheint, als ob ich vor kurzem noch ein Nichts gewesen bin. Oder habe ich doch ein Dasein gehabt, nur nicht hier? Aber wo dann? Und wie bin ich denn hierhergekommen?“
Während diese Fragen in ihm aufstiegen, hatte sich sein Körper, ohne daß er es bemerkte, vom Rasen losgelöst, und er schwebte schon weiter – aber in keiner von den Richtungen, denen die anderen gefolgt waren. Kamanita stieg aufwärts, gegen eine Einsattelung im Gipfel des Hügels. Als er über sie hinstrich, wurde er von einem noch stärkeren Hauch jenes neuen, seltsamen Duftes empfangen.
Kamanita flog weiter.
Jenseits des Hügels verlor die Gegend etwas an Lieblichkeit. Der Blumenflor war spärlicher, das Gebüsch dunkler, die Haine dichter, die Felsen schroffer und höher. Herden von Gazellen weideten da, aber nur ganz vereinzelt zeigte sich eine selige Gestalt.
Das Tal verengte sich und mündete in eine Kluft. Hier war jener Duft noch stärker. Immer schneller wurde seine Flucht, immer nackter, steiler und höher schlossen sich die Felsenwände zusammen, bis nirgends mehr ein Ausgang zu sehen war.
Die Schlucht machte ein paar scharfe Wendungen und öffnete sich plötzlich.
Über Kamanita breitete sich ein von himmelstrebenden Malachitfelsen eingeschlossener Talkessel, und mitten in diesem stand der Wunderbaum.
Stamm und Äste waren von blanker, roter Koralle; ein wenig gelblicher war die Röte des krausen Laubwerkes, aus dem die Blüten tief karmesinfarbig hervorglühten.
Über Felsenzinnen und Baumwipfel spannte der Himmel sich dunkelblau, ohne daß ein einziges Wölkchen zu sehen war. Auch drang die Musik der Genien kaum hierher – was noch in der Luft zitterte, war wie eine Erinnerung an längst gehörte Melodien.
Nur drei Farben waren da: das Ultramarinblau des Himmels, das Malachitgrün der Felsen, das Korallenrot des Baumes. Und nur ein Duft – jener geheimnisvolle, allen anderen unähnliche Duft der karmesinroten Blumen, der Kamanita hierher geführt hatte.
Und alsbald zeigte sich nun auch die Wunderart dieses Duftes:
Als Kamanita ihn hier einsog, wo er verdichtet den ganzen Kessel füllte, erweiterte sich plötzlich sein Bewußtsein und überschwemmte und durchbrach die Schranke, die bis jetzt hinter seinem Erwachen im Teiche errichtet gewesen war.
Sein vorheriges Leben lag offen vor ihm:
Er sah die Halle des Hafners, wo er mit jenem törichten Buddhamönch im Gespräche saß; er sah das Gäßchen in Rajagaha, das er durcheilte, und die ihm entgegenstürmende Kuh – dann die bestürzten Gesichter ringsum und die gelbgekleideten Mönche. … Und er sah die Waldungen und Landstraßen seiner Pilgerschaft, seinen Palast und seine beiden Frauen, die Hetären Ujjenis, die Räuber, den Krishnahain und die Terrasse der Sorgenlosen mit Vasitthi, das Elternhaus und die Kinderstube. …
Und dahinter sah er ein anderes Leben und noch eins und noch eins – und immer noch andere, wie man die Baumreihe einer Landstraße sieht, bis die Bäume zu Punkten werden und die Punkte in einem einzigen Schattenstreifen zusammenschmelzen.
Bei diesem Anblick schwindelte ihm. Und sofort befand er sich wieder in der Kluft, wie ein Blatt, das vom Winde getrieben wird. Denn das erstemal hält niemand den Duft des Korallenbaumes lange aus, und der Selbsterhaltungstrieb führt Jeden beim ersten Schwindel von dannen.
Als er nun ruhiger durch das offene Tal schwebte, erwog Kamanita:
„Jetzt verstehe ich, warum die Weiße sagte, ich sei wohl noch nicht am Korallenbaume gewesen. Denn freilich konnte ich damals nicht verstehen, was sie mit ‚Traumgestalten’ meinten; jetzt aber weiß ich es, denn in jenem Leben habe ich ja solche gesehen. Und jetzt begreife ich auch, warum ich hier bin. Ich wollte ja im Mangohaine bei Rajagaha den Buddha aufsuchen. Freilich wurde das durch meinen plötzlichen, gewaltsamen Tod vereitelt, aber mein guter Wille ist mir angerechnet worden, und so bin ich an diesen Ort der Seligkeit gelangt, als ob ich zu seinen Füssen gesessen und in seiner beseligenden Lehre gestorben wäre. Also ist mein Pilgergang nicht vergebens gewesen.“
Und Kamanita erreichte bald wieder den Teich und ließ sich auf seine rote Lotusrose nieder, wie ein Vogel, der sein Nest aufsucht.

Die Knospe öffnet sich
Plötzlich schien es Kamanita, als ob unten im Teiche sich etwas Lebendiges bewege. In der kristallenen Tiefe wurde er undeutlich einen aufsteigenden Schatten gewahr. Das Wasser brodelte und wallte, und eine große Lotusknospe mit roter Spitze schoß wie ein Fisch aus der Flut empor, um dann schwimmend auf der Wasserfläche sich zu wiegen, die erst im Kreise wellte und dann noch lange danach wie zersplittert zitterte und glitzerte, farbensprühend, als ob der Teich mit fließenden Diamanten gefüllt wäre, während der Widerschein der Wasserblinke wie kleine Flammen über die Lotusblätter, die Gewänder und die Gesichter der seligen Gestalten emporflatterte.
Und auch das Gemüt Kamanitas erzitterte und strahlte in allen seinen verborgenen Farben, auch über sein Herz schien ein Widerschein freudiger Bewegung spielend hinzutanzen.
„Was war das wohl?“ fragte sein Blick den blauen Nachbar.
„Tief unten, in weiten Weltenfernen, auf der trüben Erde, hat in diesem Augenblick eine menschliche Seele ihren Herzenswunsch darauf gerichtet, hier in Sukhavati wieder ins Dasein zu treten. Nun wollen wir auch beobachten, ob die Knospe sich schön entwickelt und zum Blühen gelangt. Denn gar manche Seele richtet ihren Wunsch auf den reinen Ort der Seligkeit, vermag aber nicht, danach zu leben, sondern verstrickt sich wieder in unheilige Leidenschaften, versinkt in die Lust des Fleisches und bleibt an dem Erdenschmutze haften. Dann aber verkümmert die Knospe und verschwindet zuletzt gänzlich. Diesmal ist es, wie du siehst, eine männliche Seele. Eine solche kommt in dem bunten Welttreiben leichter vom Paradieswege ab, weshalb du auch bemerken wirst, daß, wenn auch die roten und die weißen sich an Zahl ziemlich gleichkommen, unter den blauen die helleren, weiblichen, bei weitem die meisten sind.“
    Bei dieser Mitteilung erbebte das Herz Kamanitas gar sonderbar, als ob auf einmal schmerzliche Freude und lustgebärendes Weh es in schwankende Bewegung setzten, und sein Blick ruhte rätselratend auf einer geschlossenen Lotusrose, die, weiß wie die Brust eines Schwans, dicht neben ihm sich in dem noch leise bewegten Wasser anmutig wiegte.
„Kannst du dich auch darauf besinnen, daß du einmal gesehen hast, wie die Knospe meines Lotus sich aus der Tiefe erhob?“ fragte er den erfahrenen Nachbar.
„Gewiß, denn sie tauchte ja zusammen mit dieser weißen Blume auf, die du jetzt gerade betrachtest. Und ich habe das Paar immer beobachtet, manchmal nicht ohne Besorgnis. Denn ziemlich bald fing deine Knospe an, sichtlich zusammenzuschrumpfen, und sie war fast gänzlich unter die Wasserfläche hinabgesunken, als sie sich plötzlich wieder erhob, voller und blanker wurde und sich dann gar prächtig bis zum Entfalten entwickelte. Die weiße aber wuchs langsam, allmählich und gleichmäßig ihrer Entfaltung entgegen – dann aber wurde auch sie plötzlich wie von einer Krankheit befallen. Doch sie erholte sich rasch wieder und wurde solch herrliche Blume, wie du sie jetzt vor dir siehst.“
    Bei diesen Worten erhob sich in Kamanita eine so freudige Bewegung, daß es ihn dünken wollte, als sei er bis jetzt nur ein trüber Gast an einem trüben Ort gewesen, - dermaßen schien jetzt Alles um ihn herum zu leuchten, zu duften und zu klingen.
Und als ob sein Blick, der unverwandt auf dem weißen Lotus ruhte, ein Zauberstab wäre, um verborgene Schätze zu heben, regte sich die Spitze der Blume, die Blätter bogen ihre Ränder nach vorne und neigten sich nach allen Seiten; und sieh’ – in ihrer Mitte saß Vasitthi mit weit geöffneten Augen, deren süß lächelnder Blick dem seinigen begegnete.
Und Kamanita und Vasitthi streckten gleichzeitig die Arme nacheinander aus, und, ihre Hände ineinanderlegend, schwebten sie über den Teich dem Ufer zu.
    Kamanita merkte wohl, daß Vasitthi ihn noch nicht wiedererkannte, sondern sich ihm nur unwillkürlich zuwandte, wie die Sonnenblume der Sonne. Wie hätte sie ihn auch erkennen sollen, da doch niemand sofort bei seinem Erwachen sich seines vergangenen Lebens erinnerte – wenn auch in den Tiefen ihres Gemütes sich bei seinem Anblick dunkle Ahnungen regen mochten, wie einst bei ihm, als sein Nachbar von der himmlischen Ganga sprach.
Er zeigte ihr den strahlenden Fluß, der sich still in den Teich ergoß:
„So speisen die silbrigen Wellen der himmlischen Ganga alle Lotusteiche in den Gefilden der Seligen.“
„Die himmlische Ganga?“ wiederholte sie fragend und strich sich mit der Hand über die Stirn.
„Komm, wir wollen nach dem Korallenbaum.“
„Dort aber ist der Hain und das Gebüsch so lieblich, und sie spielen dort solch heitere Spiele“, sagte Vasitthi, nach einer anderen Richtung zeigend.
„Nachher! Jetzt wollen wir zuerst nach dem Korallenbaum, um dich durch seinen Wunderduft zu erquicken.“
Wie ein Kind, das man durch Versprechen auf ein neues Spielzeug darüber getröstet hat, daß es am fröhlichen Treiben der Kameraden nicht teilnehmen darf, so folgte Vasitthi ihm willig. Als der Duft ihnen entgegenzuwehen begann, belebten sich ihre Züge mehr und mehr.
„Wo führst du mich hin?“ fragte sie, als sie in die enge Felsenschlucht einlenkten. „Niemals bin ich noch so erwartungsvoll gewesen. Und es kommt mir vor, als ob ich schon oft voll Erwartung war, obschon dein Lächeln mich daran erinnert, daß ich ja eben erst zum Bewußtsein erwacht bin. Aber du hast dich geirrt, hier kann man ja nicht weiter.“
„O, man kann weiter, viel, viel weiter“, lächelte Kamanita, „und vielleicht wirst du jetzt gewahr, daß jenes Gefühl dich nicht getäuscht hat, liebste Vasitthi!“ Und schon öffnete sich vor ihnen das Talbecken der Malachitfelsen mit dem roten Korallenbaum und dem tiefblauen Himmel, und der Duft aller Düfte umfing sie.
Vasitthi legte die Hände auf ihre Brust, wie um ihr gar zu tiefes Atmen zu hemmen, und am schnellen Wechsel von Licht und Schatten in ihren Zügen erkannte Kamanita, wie der Sturm der Lebenserinnerungen über sie dahinbrauste.
Plötzlich erhob sie ihre Arme und warf sich an seine Brust: „Kamanita, mein Liebster!“
Und er trug sie von dannen, im Eilfluge durch die Schlucht zurückstürmend.
Im offenen, noch etwas ernsten Tal, mit dunklem Gebüsch und dichten Hainen, wo die Gazellen spielten, aber keine menschliche Gestalt die Einsamkeit störte, ließ er sich mit ihr unter einem Baume nieder.
„O, du Ärmster!“ – sprach Vasitthi, „was mußt du gelitten haben! Und was mußt du von mir gedacht haben, als du erfuhrst, daß ich Satagira geheiratet hatte!“
Aber Kamanita erzählte ihr, wie er das nicht durch eine Nachricht erfahren, sondern selber in der Hauptstraße Kosambis den Hochzeitszug gesehen habe, und wie der namenlose Jammer, der auf ihrem Gesichte geprägt stand, ihn unmittelbar davon überzeugt habe, daß sie nur dem Zwang ihrer Eltern nachgegeben hätte.
„Aber keine Macht der Erde hätte mich gezwungen, du einzig Geliebter, wenn ich nicht hätte glauben müssen, den sicheren Beweis zu haben, daß du nicht mehr am Leben seist.“
Und Vasitthi hub an, ihre damaligen Erlebnisse zu berichten.